YES! Uns erwartet ein Jahr des Aufbruchs. Auch wenn Covid im Jahr 2022 zunächst das dominierende Thema bleibt: es wird in den Hintergrund treten und andere Aufgaben und Probleme werden in den Fokus rücken. Wir werden uns an neue Realitäten gewöhnen müssen. Auf der einen Seite bleiben Unsicherheiten, aber auf der anderen Seite bieten technologische Durchbrüche und die Sensibilisierung für das Thema Nachhaltigkeit in einer breiten Schicht der Gesellschaft die Chance für neue Innovationen, unternehmerische Ideen und neues Wachstum.
Bevor wir eine Einschätzung zum wirtschaftlichen Umfeld und einen Einblick in einzelne Branchen geben, ein paar Thesen für das Jahr 2022:
- Wir werden mit dem Virus leben müssen.
- So wie es keine große Krisenwelle gab, wird es auch keinen großflächigen Aufschwung geben.
- Das Thema Nachhaltigkeit ist in den Finanzmärkten angekommen und wird den Wandel nochmals beschleunigen.
- Führungskräfte müssen sich dem permanenten Veränderungsprozess der Unternehmen stellen, das Team begeistern und ihn als Chance begreifen.
- Es ist an der Zeit, anzupacken und den Worten Taten folgen zu lassen. Bei den Megatrends Digitalisierung und Nachhaltigkeit ist aktives Mitgestalten erforderlich.
Wirtschaft global
Die Zeichen stehen auf vorsichtiger Erholung: 2022 hält für die Weltwirtschaft ein Wachstumspotenzial von 4,9 Prozent bereit – allerdings nicht für alle Bereiche und Länder. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird ebenfalls größer. Ausschlaggebend ist vor allem der Zugang zu Corona-Impfstoffen und staatlicher Unterstützung. Während finanzstarke Industrienationen sich entsprechend versorgt haben, sehen die Aussichten für Entwicklungs- und Schwellenländer nach wie vor schlecht aus. Aber auch für die vermeintlich starken Industrienationen kehrt mit dem höchsten Inflationswert seit Jahrzehnten die Unsicherheit zurück. So kletterte in den USA die Inflationsrate zum Jahresende 2021 auf 6,8 Prozent; so hoch wie seit 1982 nicht mehr. In Deutschland mussten Verbraucher mit 5,2 Prozent leben. Laut ifo-Institut hält 2022 für die Bundesrepublik keine Entspannung bereit: So soll die Inflationsrate sogar noch auf 3,3 Prozent (2021: 3,1 Prozent) steigen.
Als ‚Sorgenkind‘ entpuppt sich Asien: Als einer der wichtigsten Märkte ist er ausschlaggebend für das globale Wachstum. Der Internationale Währungsfonds rechnet mit einer deutlich langsameren Erholung von der Pandemie. So wird für die Asien-Pazifik-Region 2021 nur von einem Plus von 6,5 Prozent ausgegangen, 2022 sogar nur 5,7 Prozent.
Auch 2022 sind die jetzigen Krisenherde noch die gleichen. Laut Emergency Watchlist 2022 werden insgesamt 274 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sein. Insbesondere Afghanistan, Äthiopien und der Jemen sind von flächendeckender Armut betroffen. Politisches bis möglicherweise militärisches Konfliktpotenzial bieten die Lage der Geflüchteten an der Grenze zu Belarus, Polens Verstöße gegen die Rechtsstaatsprinzipien der EU sowie Russlands Anspruch auf die ukrainische Krim.
Wirtschaft national
Am meisten leiden unter den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie der Textilhandel, die Gastronomie, Fitnessstudios sowie der Freizeit- und Eventbereich. Und selbst die Industrie leidet aktuell unter rasant steigenden Kosten und einer weiterhin anhaltenden Materialknappheit, sodass die Nachfrage nicht bedient werden kann. Die durcheinander geworfenen Lieferketten haben das fein aufeinander abgestimmte Uhrwerk der ‚Just in time‘-Produktion aus dem Takt gebracht und infrage gestellt. Ein weiterer Faktor ist der zunehmende Fachkräftemangel. Freie Stellen können nur noch selten problemlos besetzt werden. Die größten Engpässe gibt es in den MINT-Berufen. Aber auch im Logistikbereich spitzt sich die Lage zu. Dazu kommt, dass die Lockdowns die Gastronomie ebenfalls vor Herausforderungen bei der erforderlichen Stellenbesetzung gestellt haben, die nach wie vor nicht gelöst sind.
Die Konjunkturprognose des Münchner ifo-Instituts geht für 2022 von einem Plus von 3,7 Prozent aus – die eigentlich erwartete kräftige Erholung der deutschen Wirtschaft wird somit nicht erfolgen. Andere Institute gehen zwischenzeitlich nur noch von einem Wachstum von 3,4 Prozent aus. Die anhaltenden Lieferengpässe und die vierte Coronawelle sowie die sich anbahnende fünfte und sechste Welle bremsten die deutsche Wirtschaft spürbar aus. Der Preisdruck steigt. Die zeitweise Senkung der Mehrwertsteuer war in der Entwicklung der Verbraucherpreise deutlich zu erkennen. Aber die dämpfende Wirkung auf die Inflationsrate blieb hinter den theoretisch möglichen Auswirkungen zurück. Die Wirtschaft soll 2023 dennoch stärker wachsen als im Herbst vorhergesagt und um 2,3 Prozent zulegen.
Handel und Logistik
Die Auswirkungen von Covid-19 auf den Handel waren im Jahr 2020 schnell spürbar und dramatisch. Genauso schnell trat in 2021 beim Welthandel eine Erholung ein. Trotz Ausfuhrbeschränkungen und Lieferkettenproblemen konnten neue Rekordhöhen erreicht werden. Die größten Zuwächse verzeichneten dabei medizinische Güter sowie persönliche Schutzausrüstungen. Weltweit hat der Online-Handel in den letzten Jahren zugenommen: Gerade die Marktplätze von Amazon, Alibaba und Jumia waren für kleine und mittlere Unternehmen im Lockdown die Rettung, um weiterhin ihre Kunden zu erreichen.
Der deutsche Handel steht vor großen Problemen: Die Lieferengpässe werden auch 2022 weiterhin ein dominierendes Thema bleiben. Bis weit in den Sommer hinein rechnet das ifo-Institut mit Einschränkungen. Unter anderem verantwortlich ist die Zero-Covid-Strategie der chinesischen Regierung. Dadurch geschlossene Häfen beeinträchtigen die Lieferketten nachhaltig. Aktuell sind sowohl die Frachtraten als auch die Lieferzeitpunkte von Containern für Kunden nicht planbar. Seit nunmehr einem Jahr befindet sich der weltweite Verkehr im Ausnahmezustand. Schiffstransporte sind verteuert, überbucht und verspätet. Ein Ausweichen auf Luftfracht ist nicht so einfach möglich, da aufgrund der geringeren Kapazität von Passagiermaschinen auch weniger Frachtkapazitäten am Markt vorhanden sind.
Nicht nur bei der See- und Luftfracht sind die Verfügbarkeiten bis auf Weiteres beschränkt. Es fehlen in ganz Europa LKW-Fahrer und der Frachtraummangel hat auf manchen Strecken bereits zu einer Verdoppelung der Preise geführt. In Großbritannien war der Mangel an LKW-Fahrern in Form von leeren Supermarktregalen bereits sichtbar. In Deutschland fehlen momentan ca. 80.000 Berufskraftfahrer. Tendenz steigend, da das Durchschnittsalter bei über 50 Jahren liegt, ca. 30.000 in Rente gehen und nur 17.000 nachkommen. Wenig attraktive Arbeitszeiten, kaum Anerkennung und ein durchschnittliches Gehalt ändern hieran nichts. Ein Ausweg kann die Digitalisierung und eine Fernsteuerung von LKW sein, sodass in einigen Jahren per Kameras und Sensoren remote gelenkt werden kann.
Die Verknappung der Kapazitäten auf dem Luft-, See- und Landweg sowie die Diskussion um Nachhaltigkeit werden eine dauerhafte Verteuerung der Logistik zur Folge haben. Eine Rückkehr zur Normalität scheint unwahrscheinlich. Die derzeitigen Probleme werden zu einem Überdenken der Lieferketten führen. Die Zeiten, in denen Logistik nichts gekostet hat, sind vorbei. Die zunehmende Bedeutung der Nachhaltigkeit wird die Unternehmen darüber hinaus ebenso zu einem Umdenken zwingen. Die Warenströme werden sich dauerhaft verändern. Kurzfristig werden Lager aufgebaut und mittelfristig – zumindest teilweise – die Produktion regionalisiert.
Einzelhandel
Der stationäre Handel steht vor großen Umbrüchen. Die Corona-Pandemie hat die Entwicklung hin zum Online-Shopping extrem begünstigt. So konnten beim E-Commerce 83,3 Milliarden Euro Bruttoumsatz in 2020 erzielt werden. Für 2021 wird ein deutliches Plus von 12,5 Prozent erwartet. Die Umsätze im Online-Handel wuchsen zwischen 2010 und 2019 jährlich um durchschnittlich 16,6 Prozent. Zum Vergleich: Der gesamte Einzelhandel (inkl. stationärem Handel) wuchs nur um 2,7 Prozent pro Jahr. Insbesondere mittelständische Fachhändler sind betroffen. Deren Marktanteil hat sich laut HDE seit der Jahrtausendwende von rund 32 Prozent auf 15,5 Prozent im Jahr 2019 mehr als halbiert. Die Veränderungen im Einzelhandel werden das Bild der Innenstädte nachhaltig verändern und zu einem Umdenken führen.
Das Direct-to-Consumer-Modell wird für Unternehmen immer attraktiver. Diese Hersteller setzen auf den direkten Verkauf ihrer Produkte an die Endkunden. Zwischenhändler sind nicht mehr notwendig. Der Einkauf über soziale Medien oder Messenger wurde durch die Pandemie normalisiert und bietet hierfür die passenden Rahmenbedingungen.
Bauindustrie und Immobilien
Die Bauindustrie ist durch den robusten Immobilienmarkt nach wie vor gut ausgelastet. Jedoch sind die anhaltenden Engpässe bei der Materialbeschaffung der momentan größte Bremsklotz. Die Auftragsbestände haben aktuell das höchste Niveau seit 25 Jahren.
Der Immobilienmarkt zeigt sich weiterhin von seiner robusten Seite und die steigende Nachfrage treibt die Preise weiter in die Höhe. Aufgrund der Niedrigzinsphase ist ein Ende des Preis-Booms weiterhin nicht in Sicht: So werden die Preise 2022 laut WohnBarometer für Eigentumswohnungen um 11,3 Prozent, Neubauwohnungen um 9,1 Prozent sowie für Einfamilienhäuser um 7,7 Prozent steigen.
Weniger euphorisch, aber dennoch stabil zeigt sich der gewerbliche Immobilienmarkt. Die vermehrte Home-Office-Nutzung hat vorerst nur zu moderat gestiegenen Leerständen geführt – das moderne Büro als gemeinsame Kommunikationszentrale bleibt auch weiterhin beliebt. Insbesondere an Top-Standorten wie Berlin, Hamburg und München wird auch in den kommenden Jahren kein Überangebot erwartet. Dennoch werden sich die Anforderungen wandeln. Das Interesse an innovativen Nutzungskonzepten steigt deutlich, um agile Arbeitsmethoden und Teams möglich zu machen.
Automobilbranche
Die Automobilindustrie hat sich auf den Engpass bei Halbleitern und Chips eingestellt und kann diesen immer besser handhaben. Für das Jahr 2022 wird daher von einer langsamen Erholung ausgegangen. Solange die Lieferketten nicht wieder eingetaktet sind und die ‚Chipkrise‘ nicht behoben ist, kann der Markt die Nachfrage der Kunden nicht bedienen. ‚Just in time‘ ist Vergangenheit und die Neujustierung der Lieferketten mittlerweile Gegenwart. Die Corona-Pandemie sowie die Lieferengpässe bei Halbleitern sind nur eine Herausforderung im Automobilbereich. Die gesamte Branche befindet sich in einem beispiellosen technologischen Umbruch.
Beim Endkunden gewinnt Elektromobilität immer mehr an Akzeptanz. Die Transformation vom Verbrenner zum Elektroauto beschleunigt sich zunehmend: Experten gehen davon aus, dass bereits 2022 der Elektroautoanteil bei allen Neuzulassungen bei 32 Prozent liegen wird. Tendenz steigend.
Eine Entwicklung, die auch von politischer Seite angestrebt wird. So erwartet die Ampel-Koalition mindestens 15 Millionen vollelektrische PKW bis 2030; Plug-in-Hybride werden künftig nicht mehr dazugezählt. Ein ambitioniertes Ziel, wenn es aktuell nicht einmal eine Million Elektrofahrzeuge sind – unter Einschluss der Hybridmodelle.
Darüber hinaus haben die Zulieferer im Moment Probleme, gegenüber den OEMs lieferfähig zu bleiben, da die Preise für Rohstoffe massiv gestiegen sind und die Mehrkosten nur bedingt weitergegeben werden können. Außerdem wird sich in den nächsten Jahren entscheiden, wer sich im Bereich der Hard- und Software am besten anpassen kann und in der Liga der großen Techkonzerne mitspielen wird. Herzstück eines Autos wird zukünftig die Software sein und nicht wie bisher der Motor. Zudem eröffnen sich mit der Software neue Vertriebskanäle an den Kunden. Sei es durch den temporären Verkauf durch Freischaltung von Sonderausstattung oder die Möglichkeit der Nutzung von Drittanbietern wie Shopping- oder Streamingdiensten.
Mobilität
Der Winterflugplan 2021/2022 macht der Branche Hoffnung: An den deutschen Flughäfen sind gegenüber dem Vorkrisenniveau 68 Prozent des Flugangebots wiederhergestellt. Eine weitergehende Normalisierung wird 2022 erwartet. Die USA und Kanada können auch wieder angeflogen werden; Verbindungen zu asiatischen Ländern wie China, Japan und Thailand sind aufgrund der Reisebeschränkungen noch bei Weitem nicht wieder prominent vertreten. Innereuropäische Ziele sind zu 72 Prozent verfügbar. Allerdings verzeichnet der innerdeutsche Flugverkehr mit einer Wiederaufnahmerate von 50 Prozent deutlich geringere Zahlen. Der Hauptgrund sind die weggefallenen Geschäftsreisen – und die Zahlen werden sich zukünftig nicht erholen. So wird ein beständiges Minus von 25 bis 30 Prozent prognostiziert.
Die Gründe sind klar: vermehrte Digitalisierung, Kosteneinsparungen und der Megatrend Nachhaltigkeit. Die Branche muss sich wandeln. Billigflüge für zehn Euro oder weniger wird es zukünftig nicht mehr geben. Entwicklungen wie etwa CO2-freies Kerosin sind vorhanden, werden aber (noch) nicht im großen Stil genutzt. Außerdem stoppen aktuell vermehrte Krankmeldungen den leichten Aufschwung im weltweiten Luftverkehr. In den letzten Wochen sind aufgrund des Personalmangels tausende Flüge ausgefallen. Eine kurzfristige Besserung ist aktuell nicht in Sicht und es wird im Rahmen der aktuellen ‚Omikron‘-Welle mit weiteren Ausfällen in den nächsten Wochen gerechnet.
Was die Krise nachhaltig geschafft hat, ist den Siegeszug des Fahrrads als Zukunftsmodell anzufachen: Unter ‚Xycles‘ werden Lastenräder, Pendlergefährte, Kurierfahrzeuge oder Last-Mile-Konzepte definiert. Das eigene Auto wird immer weiter aus den Städten verdrängt. Vielmehr wird die Nutzung der vielfältigen Mobilitätsmöglichkeiten in den Alltag integriert. Ein direkter Zugriff auf verschiedene Fahrzeuge mit einfachen Bezahlsystemen macht es möglich: Schnell mit dem Stadtrad durch enge Gassen zur nächsten Bahnstation. Dadurch wird nicht nur Zeit, sondern auch Geld gespart: Versicherungsprämien sowie Wartungs- und Reparaturkosten fallen weg.
‚Connecting the Countryside‘ wird die ländlichen Regionen zu urbanen, gut vernetzten Räumen machen. Möglich wird dies durch vermehrte Carsharing- und Pooling-Angebote, die nun auch ankommen und nicht nur in Städten verfügbar sein werden.
Energie
Eine Unbekannte bleibt im Jahr 2022 die Inbetriebnahme von Nord Stream 2. „Für energiepolitische Projekte auch in Deutschland gilt das europäische Energierecht.” Dieser Satz aus dem Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP könnte das Aus für die Gas-Pipeline Nord Stream 2 bedeuten. Das europäische Recht ist eindeutig – Betreiber einer Pipeline und Gasproduzent müssen getrennt sein. Bei Nord Stream 2 handelt es sich jedoch um ein Tochterunternehmen des russischen Konzerns Gazprom.
Ende des Jahres werden die letzten deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet. Auf diesen energiepolitischen Stresstest gilt es, sich vorzubereiten. Wie kann ein Blackout verhindert werden und wie gehen wir zukünftig mit der Abhängigkeit um und halten gleichzeitig die Preise im sozialverträglichen Rahmen? Eine Neuausrichtung der nationalen Stromerzeugung wird in den nächsten Jahren immer wichtiger. Der Anteil der Kernenergie betrug zuletzt zwar nur rund elf Prozent, jedoch soll der Ausstieg aus der Kohle ebenfalls noch in diesem Jahrzehnt erfolgen. Und um spätestens 2050 klimaneutral zu sein, sind die Laufzeiten der Gaskraftwerke ebenfalls schon beschränkt. Neben den noch nicht vorhandenen erforderlichen Stromtrassen ist auch die Frage nach der Produktion an sich noch nicht abschließend beantwortet.
Eine wesentliche Herausforderung bleiben die rasant steigenden Energiepreise, die sich nicht zum Standortrisiko entwickeln dürfen. Jedoch ist sicher, dass sich Deutschland vom einstigen Energieexporteur zum Energieimporteur entwickeln wird und der Wandel ohne französischen Atomstrom und osteuropäischen Kohlestrom nicht möglich sein wird.
Pharma und Chemie
Corona-Impfstoffe als ‚Booster‘ für die gesamte Pharma-Industrie? Während die Umsatzerlöse der am Impfstoff beteiligten deutschen Firmen im 1. Halbjahr 2021 durchschnittlich rund ein Fünftel höher lagen als der entsprechende Vorjahreswert, mussten andere Unternehmen in der Regel mit sinkenden Umsätzen leben. Auch die Nachfrage in der Chemieindustrie ließ nach. Ursächlich hierfür sind die Probleme in den weltweiten Lieferketten.
Forschung und Entwicklung sind elementar für Chemie- und Pharmaunternehmen – das zeigt sich an den Ausgaben. Rund 13,7 Milliarden Euro (+2,5 %) investierten deutsche Pharmakonzerne 2020. Das Ziel: Impfstoffe und Medikamente für die Behandlung von Covid-19-Patienten. 2022 wird sich der Fokus wieder zurück Richtung Onkologie verlagern. Unter Hochdruck wird an Wirkstoffen gegen Krebs- und Immunerkrankungen geforscht. Eine Schlüsselrolle werden hier Medikamente aus Boten-Ribonukleinsäuren (mRNA) spielen. Mit mRNA lassen sich Zellen so verändern, dass sie jedwede Art von Proteinen erzeugen können. Mit der Kombination von digitalen und biologischen Werkzeugen sind ganz neue Anwendungen bei Medikamenten möglich.
Messen und Veranstaltungen
Die Veranstaltungsbranche zählt zu den größten Verlierern der Pandemie. Mit etwa 60 Prozent der global führenden Veranstaltungen ist Deutschland ein wichtiger Standort – zwischen März 2020 und Juni 2021 fanden jedoch fast keine Kongresse und Messen statt. Digitale Alternativen waren weniger erfolgreich. Die Umsatzeinbußen werden mit 70 Prozent beziffert. Ein Verlust, der auch gesamtwirtschaftlich deutlich spürbar ist: So beläuft sich dieser laut Verband der deutschen Messewirtschaft auf 43,5 Milliarden Euro, denn auch Hotellerie, Gastronomie, Transportgewerbe, Handel und Handwerk profitieren direkt von Messen und Veranstaltungen.
Trotz digitaler Veranstaltungen und Kongresse wird das Konzept ‚Präsenzmesse‘ auch weiterhin die erste Wahl sein. Hier werden jedoch digitale Angebote ergänzt, sodass auch unabhängig von Zeitzonen Veranstaltungen gestreamt und die Reichweiten gesteigert werden können.
Ein von Bund und Ländern erarbeitetes Absicherungsprogramm soll die Organisation und Planung von Großveranstaltungen zusätzlich attraktiv machen. Hierüber können veranstaltungsbezogene Kosten bis zu 600 Millionen Euro abgesichert werden. Vorerst gilt dies für Veranstaltungen bis zum 30. September 2022; eine Verlängerung des Zeitraums wird erwartet.
Tourismus
Ein ‚Zurück auf Vorkrisen-Niveau‘ wird es im Jahr 2022 nicht geben – da ist sich die Branche einig. Frühestens 2023 wird man annähernd an die Umsätze der letzten Jahre anknüpfen können. Allerdings prüft die Ampel-Koalition aktuell eine Erhöhung der Luftverkehrssteuer, die dann nach 2023 in Kraft treten soll und zu einer weiteren Verteuerung im Bereich des Mittel- und Langstreckentourismus führen wird.
Die Zeichen für einen starken Tourismus-Sommer 2022 sind aber bereits sichtbar – die Deutschen wollen wieder verreisen. Aufgeschobene oder abgesagte Reisen werden nachgeholt. Besonders beliebt: Mittelmeerziele wie Spanien, Griechenland und die Türkei sowie Orte in Deutschland oder angrenzenden Ländern, die per Zug, Bus oder PKW erreicht werden können. Es zeigt sich, dass die Kunden immer kurzfristiger buchen. Ein Verhalten, das die nachhaltige Unsicherheit zeigt, die durch die Pandemie ausgelöst wurde. Dies macht auch der Boom bei Ferienwohnungen und -häusern klar. Sie sind Optionen, die isolierteren Urlaub als in einem Hotel möglich machen und somit eine größere Sicherheit vor potenziellen Ansteckungen bieten.
Gastgewerbe
Der zuletzt positive Ausblick auf die Wintersaison 2021/2022 wird aufgrund der 4. Pandemiewelle nicht zur Realität. 2G und teilweise 2G Plus sind bereits etabliert und sorgen für zusätzlichen Aufwand bei gleichzeitig weniger Kundschaft. Ein kompletter Lockdown mit erneuten Schließungen soll unbedingt vermieden werden. Ein weiteres Problem: fehlendes Fachpersonal. Allein in Deutschland haben sich während der Pandemie etwa 325.000 Fachkräfte anderen Branchen zugewandt – zu unsicher die Aussichten auf eine schnelle Erholung des Gastro-Sektors. Mit der von der Ampel-Koalition geplanten Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro erwarten die Betriebe zusätzlich eine Personalkostensteigerung von 15 bis 25 Prozent, so das Ergebnis einer DEHOGA-Umfrage.
Der gemeinsame Nenner von Gastronomie und Hotellerie liegt bei Geschäftsreisenden. Hier wurden während der letzten beiden Jahre deutliche Einbußen verzeichnet. Eine Entwicklung, die sich nur marginal erholen wird. Gemeinsame Meetings müssen nicht mehr in gemieteten Konferenzsälen oder beim Closing-Dinner stattfinden. Digitale Videokonferenzen sind effizienter und kostengünstiger. Deshalb werden solche Treffen zwar weniger, aber dadurch eben auch deutlich mehr zelebriert und geschätzt. Eine Chance für Restaurant- und Hotelbetreiber, sich mit besonderen Events/Pauschalen entsprechend zu platzieren.
Keine Sitzplätze, kein Servicepersonal, nur Küchen und Lieferanten: Auch 2022 wird die Anzahl der Ghost Kitchens weiter steigen. Die reinen Online-Lieferdienste sind attraktive Optionen für Gastronomen, gerade weil weniger Kosten anfallen und höhere Umsätze möglich sind. Der Trend zur vermehrten Online-Bestellung begünstigt dieses Modell.
Regionaler Reis? Die ‚Local Exotics‘ sind ein weiterer Trend für 2022. So werden nun auch Obst- und Gemüsesorten angepflanzt, die eigentlich aus anderen Teilen der Welt stammen. In Österreich baut man beispielsweise bereits Reis, Wasabi, Feigen oder Ingwer an. So verbinden sich die Sehnsucht nach Exotik, die in der Corona-Pandemie herrschte, mit dem Ziel, regionaler einzukaufen. Schließlich sind Nachhaltigkeit und möglichst kurze Lieferwege für viele Konsumenten immer wichtigere Faktoren bei der Kaufentscheidung.
Gesundheitswesen
Die Pandemie hat viele Krankenhäuser zeitweise an den Rand der Leistungsfähigkeit gebracht: Die dadurch entstandenen wirtschaftlichen Ausfälle fielen aufgrund hoher Ausgleichszahlungen im Verhältnis zu anderen Branchen geringer aus. So wurden die Kliniken mit insgesamt 10,2 Milliarden Euro vom Bund unterstützt, etwa für Schutzkleidung, freigehaltene Betten und Intensivstationszuschläge. Dennoch haben laut Krankenhaus-Rating-Report 20 Prozent der Kliniken keinen adäquaten finanziellen Ausgleich erhalten. 2022 werden die wirtschaftlichen Probleme zurückkehren, die vor Corona bereits da waren: Weniger Patienten, teurere Behandlungen und ineffizientes Management. Insbesondere der Trend zu vermehrt ambulant durchgeführten Untersuchungen und Behandlungen sorgt für geringere Einnahmen. Bleiben die Patientenzahlen niedrig, drohen drei Viertel der Häuser ab 2022 Verluste und bis 2030 ein durchschnittliches Minus von zehn Prozent beim Jahresergebnis. Um dem entgegenzuwirken, müssen die Strukturen in der Branche optimiert werden: Anpassung der Kapazitäten, also Abbau von Betten und Schließung von Krankenhäusern. Behandlungszentren mit ambulanten und stationären Angeboten werden zukünftig für die Patienten immer mehr Raum einnehmen und klassische Kliniken verdrängen.
Mit der geplanten Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken wird auch der Trend, CBD und THC für medizinische Zwecke einzusetzen, weiter gestärkt. So werden neue Arzneimittel und Dienstleistungen auf dem ersten Gesundheitsmarkt ermöglicht. Auch Resonanzräume werden immer wichtiger: New Work und Individualisierung schaffen gesunde Umgebungen, verschmelzen Leben und Arbeit (Work-Life-Blending). Sie zeigen, dass neben der körperlichen Gesundheit auch die mentale Balance immer wichtiger wird.
Megatrends Digitalisierung und Nachhaltigkeit
2022 werden Digitalisierung und Nachhaltigkeit weiterhin die tonangebenden Megatrends sein. Die Pandemie hat offengelegt, wo Nachholbedarf herrscht. Digitalisierte Unternehmen sind im Schnitt besser durch die Krise gekommen und konnten sich schneller auf die neuen Gegebenheiten einstellen.
Die Digitalisierung hat weiter an Bedeutung gewonnen. Neue Technologien beeinflussen mittlerweile sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens. Sie verändern die Art, wie wir uns informieren und wie wir kommunizieren. Mit der fortschreitenden Entwicklung wird auch der Datenschutz immer wichtiger: Unternehmen verfügen über große Mengen an Daten, die jedoch teilweise nicht ausreichend geschützt sind. Hacker-Angriffe werden künftig zunehmen, weshalb professionelles Risikomanagement weiter priorisiert werden muss.
Ein neuer Multi-Milliarden-Markt kristallisiert sich mit der erweiterten ‚augmented reality‘ (AR) und der virtuellen Realität (VR) heraus. Sowohl Apple als auch Meta sowie Google und Microsoft arbeiten an entsprechenden Brillen, mit denen Nutzer noch tiefer in die digitalen Welten eintauchen. Den Durchbruch verhindern aktuell noch das zu hohe Gewicht sowie die begrenzte Leistungskraft und Datenschutzbedenken. Aber das Potenzial, das Smartphone abzulösen, ist nach wie vor gegeben und Apple wird hier eine Schlüsselrolle einnehmen.
Das Thema Nachhaltigkeit hat im Zeichen der Neo-Ökologie in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Daran hat die temporäre Covid-Krise auch nichts geändert. Vor allem die jüngere Bevölkerung legt mehr Wert auf nachhaltige und ressourceneffiziente Produkte für einen schonenden Umgang mit der Umwelt und das Eindämmen des Klimawandels. Auch ohne politisches Zutun wird in den nächsten Jahren eine Transformation der Wirtschaft stattfinden: Weg von Wachstums- und Profitmaximierung hin zu einem intelligenten und nachhaltigen Umgang mit Ressourcen. Keine rein ethische Bewegung, sondern auch in Hinblick auf den Ressourcenmangel ökonomisch sinnvoll. Durch den Stillstand bzw. das starke Herunterfahren einiger Produktionen und des Verkehrs ist deutlich geworden, wie schnell sich die Luftqualität durch den geringeren Ausstoß von Schadstoffen erholen konnte. Jedoch war dies nur ein temporärer Effekt und ein grundlegendes Umdenken wird erforderlich. Die Zukunft unseres Zusammenlebens muss ökologisch gestaltet werden.
(Quellen zum Artikel finden sich im PDF-Dokument)