
Selten lagen Aufbruch und Absturz so eng beieinander. Das Jahr 2022 sollte nach der Corona-Pandemie ein Erholungsjahr werden, doch stattdessen wirkten sich der Ukraine-Krieg, die steigende Inflation und die explodierenden Energiepreise auf jede einzelne Branche und das gesellschaftliche Leben aus. Dennoch kann das Jahr 2023 ein Erholungsjahr für alle Bereiche werden, die durch Corona in den vergangenen Jahren Einbußen hatten – denn die Menschen wollen zunehmend zurück zu dem Vor-Corona-Leben. Die Themen Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Klimaschutz sind auch 2023 wesentliche Treiber für Veränderung und Wachstum. Insbesondere die Dringlichkeit von Innovationen wird durch den aktuellen Fachkräftemangel verstärkt.
Bevor wir im Folgenden zu einer Einschätzung zum wirtschaftlichen Umfeld und einem Einblick in einzelne Branchen kommen – ein paar Thesen für das Jahr 2023:
- Wir können Corona nach und nach hinter uns lassen. Das Leben besteht wieder mehr aus Beisammensein und sozialem Austausch – vor Ort.
- Auch während Krisen werden die Pläne für Klima- und Umweltschutz an vielen Stellen mit Tatendrang weitergeführt.
- Der demografische Wandel und der Fachkräftemangel verändern den Arbeitsmarkt deutlich.
- Die Umstellung auf resiliente Prozesse und Strukturen ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil für kommende Krisen.
- Wir befürchten, dass wir uns auf einen langen Krieg einstellen müssen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er noch Jahre andauernd wird.
Wirtschaft global
Die Wirtschaft steht im Jahr 2023 vor großen Herausforderungen. Das Wirtschaftswachstum weltweit sinkt von 3,2% im Jahr 2022 auf 2,7% im Jahr 2023. Die OECD rechnet mit einem eher geringeren Wachstum von 2,2% weltweit, in der Eurozone sogar nur mit einem Wachstum von 0,5%. Ins Gewicht fällt hierbei, dass sich sowohl die USA als auch China und Europa gleichzeitig in einer Krise befinden. Im Rahmen der Krise haben sich die USA weiter dem Protektionismus verschrieben. Daraus resultiert, dass der Multilateralismus (Probleme werden gemeinsam gelöst) nicht mehr funktioniert. Dies zeigt sich daran, dass Institutionen wie die UN, WHO und auch WTO immer mehr an ihre Grenzen stoßen und an Bedeutung verlieren. Die Handelsmächte setzen eher auf bilaterale Abkommen
Die Aufwertung des US-Dollars im Vergleich zum Euro erhöht die Preise für US-Importe in die Eurozone. Aufgrund der starken Teuerungen in den USA musste die Zentralbank FED den Leitzins 2022 mehrmals anheben. Infolge der Leitzinserhöhung steuert die US-Wirtschaft aktuell auf eine Rezession zu. Zwar konnte mit der Leitzinserhöhung die Inflation etwas reduziert werden, jedoch erodieren die Realeinkommen weiterhin und die Bürger greifen vermehrt auf ihr Erspartes zurück. Es wird erwartet, dass die Krise in den nächsten Monaten auch den Arbeitsmarkt erreicht. Die Entwicklung in China ist aktuell geprägt vom sprunghaften Anstieg der Corona-Zahlen nach Aufgabe der Null-Covid-Strategie. Es wird erwartet, dass das Gesundheitssystem kurzfristig überlastet sein wird. Mit einem Anteil von ca. 30% an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung ist die Krise am Immobilienmarkt nach wie vor ein großes Problem in China. Die Spannungen im Verhältnis zu Taiwan machen Prognosen für das kommende Jahr schwierig. Mit einem Wachstum von unter 5% im Jahr 2023 verliert China als globaler Wachstumsmotor weiter an Bedeutung. Indien wird im ersten Halbjahr 2023 China als das bevölkerungsreichste Land ablösen. Die beginnende chinesische Demografiekrise führt dazu, dass bei gleichbleibenden Geburtenraten die Bevölkerung bis 2100 auf 766 Millionen schrumpfen wird. Indien profitiert aktuell maßgeblich von Chinas Schwäche und diverse Unternehmen beginnen mit der Verlagerung der Produktion von China nach Indien, wo sie auf eine junge und immer besser ausgebildete Bevölkerung treffen. Es wird erwartet, dass Indien bereits 2027 die drittgrößte Volkswirtschaft sein wird.
Insbesondere der Krieg in der Ukraine sowie anhaltende Lieferkettenprobleme und die steigenden Kosten für Lebensmittel, Energie und Rohstoffe sorgen weiter für eine angespannte Lage in der Weltwirtschaft. Der Ausgang des Ukraine-Kriegs bleibt ungewiss. Verschiedene Szenarien zeigen die Ungewissheit und Unsicherheit, die damit einhergehen. Die nur vorsichtige militärische Einmischung Europas dämpfte jedoch den Aufschaukelungs-Prozess. Der Weg der Diplomatie prägt den Konflikt seitens des Westens.
Wirtschaft national
Während die Industrie und der Einzelhandel im vergangenen Jahr vor allen Dingen mit Einschränkungen durch Corona zu kämpfen hatten, sind für das Jahr 2023 die extrem gestiegenen Energiepreise, der Fachkräftemangel und die hohe Inflation die drei größten Herausforderungen. Besonders in energieintensiven Branchen wie der Chemie-, Papier- oder Metallindustrie haben die hohen Energiekosten zum Teil existenzielle Auswirkungen auf die Unternehmen. Die steigenden Energiepreise werden im internationalen Vergleich zu einem Wettbewerbsnachteil für den Standort Deutschland führen. Darüber hinaus wirken sich die hohen Preise auch negativ auf die Kaufkraft der Konsumenten in Deutschland aus. Die deutsche Wirtschaft dürfte zum zweiten Mal binnen drei Jahren in die Rezession rutschen.
Der Fachkräftemangel steht in einem offensichtlichen Konflikt mit den hohen Arbeitskosten. Denn obwohl Fachkräfte besonders in Branchen, die sich durch neue Technologien rasend schnell weiterentwickeln müssen, händeringend gesucht und gebraucht werden, können viele Unternehmen die hohen Lohnkosten kaum stemmen. Der demografische Wandel trägt neben der dynamischen Entwicklung durch die Digitalisierung dazu bei, dass offene Stellen schneller geschaffen als besetzt werden können. Doch auch viele andere Branchen wie das Handwerk, die Gastronomie, die Kindererziehung oder die Altenpflege leiden zunehmend unter dem Fachkräftemangel. Trotz der stagnierenden Wirtschaft verharrt die Anzahl an offenen Stellen auf einem nie dagewesenen Niveau. Da dieses Jahr für ca. 11 Millionen Beschäftigte die Tarifverträge neu ausgehandelt werden, steigt die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale weiter.
Durch den Strompreisdeckel der Bundesregierung sollen die hohen Energiepreise ab März 2023 aufgefangen werden. Diese Unterstützung könnte auch die Kaufkraft in Deutschland wieder erhöhen und die Wirtschaft ankurbeln. Um weiter der anhaltend hohen Inflationsrate entgegenzuwirken, hat die EZB bereits weitere Zinsschritte angekündigt. Ein weiterer Anstieg der Zinsen auf 3% ist wahrscheinlich. Durch das Abschmelzen der Anleihebestände ab März wird den Geschäftsbanken weitere Liquidität entzogen. Dies dürfte die Konjunktur weiter dämpfen. Die geringeren Inflationsraten in 2023 werden im Wesentlichen auf einen statistischen Effekt zurückzuführen sein, da die Vorjahresvergleichswerte ab März die Auswirkungen des Ukrainekrieges bereits beinhalten. Ein weiterer Effekt resultiert aus Preisrückgängen bei Rohstoffen, Halbleitern sowie den sinkenden Frachtraten im globalen Seeverkehr. Bei dem aktuellen Wachstum der Geldmenge ist davon auszugehen, dass die Inflationsrate auch in den nächsten beiden Jahren bei ca. 7% liegen wird. Dies resultiert auch daraus, dass die Unternehmen bisher erst ein Drittel ihrer gestiegenen Kosten an die Kunden weitergegeben haben.
Das von Innovationen geprägte deutsche Geschäftsmodell, das in der Vergangenheit von den geringen Energiekosten und den offenen Weltmärkten profitierte, steht im Jahr 2023 somit vor einem Transformationsprozess.
Logistik
Ab dem 01. Januar 2023 tritt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft. Dieses soll der Verbesserung der internationalen Menschenrechtslage dienen, indem Unternehmen in der Verantwortung stehen, dafür Sorge zu tragen, dass die Menschenrechte innerhalb der Lieferkette eingehalten und geschützt werden. Ab 2023 müssen Unternehmen mit einer Mitarbeiterzahl von mindestens 3.000 – ab 2024 von mindestens 1.000 – diese Sorgfaltspflicht erfüllen. Zu den Sorgfaltspflichten zählen unter anderem die Einrichtung eines Risikomanagements und einer Risikoanalyse sowie die Verankerung von Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich und gegenüber unmittelbaren Zulieferern.

Die hohe Nachfrage nach Konsumgütern in den Jahren 2020 und 2021 hatte einen starken Anstieg der Frachtraten zur Folge. Dieser Umstand sowie die begrenzte Kapazität von alten Containerschiffen führte daher zu einem starken Anstieg der Preise für Containerfracht. Auf diese Veränderung der Nachfrage reagierten die Werften mit einer gesteigerten Produktion von Containerschiffen mit höheren Kapazitäten, sodass die Orderbücher zum Teil deutlich gefüllt sind. Zwischenzeitlich hat der Stau vor den großen Seehäfen nachgelassen und durch die Lieferprobleme haben sich neue, kürzere Lieferketten gebildet. Dies hat einen massiven Verfall der Frachtraten mit sich gebracht, was wiederum die Reedereien vor neue Probleme stellt.
Auch die Logistik treibt das Thema Digitalisierung um. So testet Amazon in den USA gerade die Auslieferung via Drohne unter dem Namen „Prime Air“. Dabei erhält der Kunde nach der Bestellung einen Statustracker und das Paket schließlich per Luftpost an den angegebenen Ort, beispielweise den Garten. Frachttransporte könnten auch in größeren Dimensionen bald per Drohnen-System verschickt werden. Das kalifornische Start-up-Unternehmen Natilus entwickelt ein Drohnen-System, das bis zu 130 Tonnen Fracht über Langstrecken tragen können soll.
Einzelhandel
Lieferkettenprobleme, hohe Kosten für Ressourcen, der zunehmende Online-Handel und das schwindende Angebot in den Innenstädten fordert den Einzelhandel. Die Innenstädte verändern sich: neben kleinen Geschäften sind besonders große Filialunternehmen wie Görtz und Galeria Karstadt Kaufhof von der Insolvenz betroffen. Auf das aktuelle Jahr blickt der Handel mit großer Sorge. Wenn in den kommenden Wochen die Bürger ihre Bescheide über Nachzahlungen und höhere Abschläge für Strom und Gas erhalten, dürfte das viele Konsumenten schocken. Dies wird zu dauerhaften Einsparungen beim Konsum führen.

Die hohen Energie- und Rohstoffpreise sind auch im Einzelhandel angekommen und sorgen dafür, dass Lebensmittel deutlich teurer werden. Immer mehr Verbraucher greifen zu günstigen Eigenmarken und konventionellem Obst und Gemüse statt zu Markenprodukten und Bio. Das Nachhaltigkeitsempfinden der Konsumenten hat sich nicht verändert, doch der Kauf von teureren Bio- und umweltfreundlicheren Produkten wird für viele zunehmend schwieriger. Die verringerte Kaufkraft wird 2023 sowohl für die Hersteller als auch für den Handel zu einer Herausforderung.
Bauindustrie und Immobilien
Das Ende der Nullzins-Politik wirkt sich auf die Immobilienpreise aus. Durch die gestiegene Inflation musste die EZB den Leitzins deutlich anheben. Auch der Druck durch die Erhöhung des Leitzinses durch die FED führt dazu, dass die EZB den Leitzins noch weiter anheben möchte, um die Teuerung von US-Importen auszugleichen. Die Baubranche ist wie keine andere Branche von der Zinsentwicklung abhängig. Die Zinsen für zehnjährige Hypotheken haben sich im Jahr 2022 verdreifacht.

Neben den gestiegenen Finanzierungskosten wirken sich auch Materialknappheit, Lieferschwierigkeiten, Fördereinschränkungen für energieeffiziente Neubauten und der Fachkräftemangel negativ auf die Bauindustrie und den Immobilienmarkt aus. Die Baubranche spricht von einer Stornierungswelle. Das anvisierte Ziel der Regierung von 400.000 Neubauwohnungen kann bis 2024 vermutlich nur zur Hälfte erfüllt werden. Der knappe Wohnraum und die nachlassende Bautätigkeit wirken daher dem starken Rückgang der Immobilienpreise entgegen und Immobilien mit einer hohen Energieeffizienz erzielen weiterhin bis zu 35% höhere Preise. Dagegen steigt die Nachfrage nach Mietwohnungen deutlich an, auch durch die wachsende Zuwanderung aus der Ukraine. In Summe steht die Wohnungswirtschaft vor einer schweren Krise. Beim Wirtschaftsbau sieht es aufgrund der gestiegenen Kosten nicht besser aus, da ein Großteil der Unternehmen geplante Investitionen drastisch reduziert hat. Der öffentliche Bau kann dies nicht ausgleichen. Die höheren Baukosten führen zu weniger Bauprojekten, da die Investitionsbudgets von Bund, Ländern und Kommunen begrenzt sind. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren wird der Bausektor nun die Konjunktur bremsen.
Automobilbranche
Auch die Automobilindustrie spürt die Herausforderungen in puncto Lieferkettenprobleme und hohe Energiepreise. Im November 2022 reduzierten 16% der Automobilhersteller ihre Produktion, 17% wollten sie sogar ganz verlagern. Zwar sahen sich die Automobilhersteller mit einer geringeren Nachfrage nach Neuwagen und steigenden Lohnkosten durch neue Tarifverträge konfrontiert, was unter anderem zur Folge hatte, dass weltweit so wenig Neuwagen wie zuletzt vor zehn Jahren verkauft wurden. Jedoch konnten, trotz des geringen Angebotes, Autos mit niedrigeren Rabatten als in den vergangenen Jahren verkauft werden. Insbesondere margenträchtige Modelle erzielten einen höheren Absatz, da diese auch aufgrund der Bevorzugung in der Produktion besser lieferbar waren. In Summe resultierten daraus Rekordgewinne für die Automobilhersteller, trotz höherer Kosten für Energie, Inflation und Produktionsstillstand. Bei den Automobilzulieferern zeichnet sich hingegen ein anderes Bild ab. Diese sehen sich weiter einem enormen Kostendruck, Lieferkettenproblemen und dem Fachkräftemangel ausgesetzt. Vor allem können die höheren Kosten nur eingeschränkt an die OEMs und Tier 1 weitergegeben werden. Verstärkt wird der Effekt noch durch die weitere Transformation zur E-Mobilität.
Die Automobilindustrie ist jedoch auch Teil der Lösung gegen den Klimawandel, wodurch sich Chancen ergeben. Die Investitionen für Elektromobilität, Batterietechnik und Digitalisierung sind in der Automobilbranche mit 220 Milliarden Euro bis 2026 historisch hoch. Dem entgegen steht jedoch die Senkung des staatlichen Zuschusses beim Kauf von Elektroautos. Dieser soll im Jahr 2023 von 9.000 auf 4.500 Euro sinken. Ab September 2023 beschränkt sich der Umweltbonus zudem auf Privatpersonen. Insbesondere die Spanne zwischen den Neuwagenpreisen von Elektroautos und Verbrennern im Kleinwagensegment ist ohne den Umweltbonus zu groß und senkt die Attraktivität von Elektro-Kleinwagen. Die Nachfrage nach reinen Elektroautos wird 2023 daher vermutlich stagnieren.
Mobilität
Das Gesetz zum automatisierten Fahren, das bereits 2017 in Kraft getreten ist, soll 2023 erweitert werden. Bisher durften Fahrzeuge nur bis Stufe 3 des autonomen Fahrens auf deutschen Straßen bewegt werden. Dabei darf das Fahrzeug Fahraufgaben unter bestimmten Voraussetzungen eigenständig übernehmen. Ein Fahrer ist aber dauerhaft notwendig. Ab 2023 sind auch Fahrzeuge der Stufe 4 zugelassen. Das bedeutet, dass autonome Fahrzeuge „in festgelegten Betriebsbereichen im öffentlichen Straßenverkehr im Regelbetrieb fahren können“. Deutschland soll mit dieser Regelung als erster Staat weltweit eine Vorreiterrolle einnehmen.

Das 9-Euro-Ticket soll ab Frühjahr 2023 durch das 49-Euro-„Deutschland-Ticket“ ersetzt werden. Kritik besteht jedoch darin, dass Qualitätsunterschiede im Angebot des ÖPNV nicht mehr über den Preis dargestellt werden können. Es wird befürchtet, dass die Qualität besonders in Städten durch das Deutschlandticket leiden wird. Auch könnten dadurch Mehrkosten entstehen aufgrund eines höheren Fahrgastaufkommens, insbesondere in den Bereichen Reinigung und Sicherheit. Mit der Steigerung der Kapazitäten und Erhöhung der Attraktivität auf der Schiene wurde in den letzten Monaten ein Trend von der Flugzeug-Kurzstrecke zur Bahn in Gang gesetzt.
Die Zeichen für den Flugverkehr stehen auf vorsichtiger Erholung und unterstützen damit die Hoffnungen der Branche für 2023, dass sich der Flugverkehr langsam wieder auf das Vor-Corona-Niveau einpendeln wird. Wegen der Corona-Pandemie steckt die Flugbranche auch im Moment noch in der größten Krise ihrer Geschichte. Viele Fluggesellschaften setzen nach wie vor nur einen Bruchteil ihrer Flotte ein. Es bleibt abzuwarten, wie die Passagiere auf die weiter steigenden Flugpreise reagieren werden.
Energie
Der Sommer und Herbst wurde genutzt, um die Gasspeicher zu füllen, was unter anderem einen hohen Anstieg der Gaspreise zur Folge hatte. Doch auch wenn die deutschen Gasspeicher erstmal gefüllt sind und wohl auch für den aktuellen Winter ausreichen, müssen diese für den Winter 2023/2024 erneut aufgefüllt werden. Da die Gaslieferungen aus Russland vollständig eingestellt sind, bleibt abzuwarten, welche Erdgaslieferanten Russland ersetzen werden. Mit Katar wurde bereits ein Vertrag geschlossen, über die nächsten 15 Jahre LNG zu liefern und in Wilhelmshaven wurde das erste LNG-Terminal errichtet.

Auch wenn die Zeichen auf erneuerbare Energien stehen, hat sich der Anteil der Kohleenergie zur Energieerzeugung im Jahr 2022 erhöht. Doch an zweite Stelle rückt die Windkraft zur Energieerzeugung und zeigt, dass Strom aus erneuerbaren Energien machbar ist und weiter ausgebaut werden sollte. Das „Wind-an-Land-Gesetz“ soll genau das umsetzen. Durch das am 01. Februar 2023 in Kraft tretende Gesetz sollen 2% der Landfläche in Deutschland auf Länderebene für die Windkraftenergie ausgewiesen werden. Darüber hinaus sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden, um so schneller Strom aus erneuerbaren Energien gewinnen zu können. 2022 wurde bereits 14% mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt als noch im Jahr 2021. Verbindliche Flächenziele sollen dafür sorgen, dass bis 2027 1,4% der Fläche in Deutschland für Windenergie bereitsteht.
Auch im privaten Sektor wird durch das neue EEG zum Beispiel die Inbetriebnahme von Pho-tovoltaikanlagen einfacher. Solarmodule werden weiterhin gefördert und dürfen, wenn die Montage auf dem Dach nicht möglich ist, ersatzweise im Garten aufgestellt werden. Ziel des EEG 2023 ist es, den Ausbau von Photovoltaik-Anlagen deutlich anzukurbeln – zunächst von 7 auf 9 Gigawatt, ab 2026 sogar bis 22 Gigawatt.
Pharma und Gesundheitswesen
Steigende Kosten für Energie, Medikamente und Technik, der Fachkräftemangel, die Nachwirkungen der Corona-Pandemie und die Digitalisierung sind Themen, die das Gesundheitswesen im Jahr 2023 beschäftigen werden. Krankenhausinsolvenzen sind direkte Folgen dieser Faktoren – es wird erwartet, dass 2023 jede dritte Klinik in ernsthafte Liquiditätsschwierigkeiten kommen könnte. Krankenhäuser unterliegen einem wirtschaftlichen Druck, können aber, anders als Unternehmen, die Preise nicht einfach anheben. Die stark gestiegenen Kosten werden so zu einer Abwärtsspirale.

Wie der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mitteilt, soll 2023 die größte Krankenhausreform seit 20 Jahren umgesetzt werden. Ziel dieser Reform ist es, dass Krankenhäuser nicht mehr länger über sogenannte Fallpauschalen finanziert werden, beziehungsweise dass die Pauschalen so weit erhöht werden, dass sich die Krankenhäuser tragen können. In der aktuellen Situation richtet sich die Höhe der Krankenhausvergütung nach der behandelten Diagnose. Das hat zur Folge, dass weniger lukrative Bereiche häufig vernachlässigt werden. Insbesondere kleine Kliniken im ländlichen Raum können kaum genügend lukrative Fälle behandeln, um schwarze Zahlen zu schreiben. Durch die Verknüpfung der Vergütung mit der Behandlung entsteht ein hoher wirtschaftlicher Druck. Darüber hinaus sollen weniger Patienten stationär aufgenommen werden. Nach Lauterbach wird das Pflegepersonal ineffizient eingesetzt, wodurch dieses noch zusätzlich belastet wird. Die neue Krankenhausreform soll genau das ändern. Ab dem 01. Januar 2023 startet die Erprobungsphase mit einem Praxistest des Krankenhauspflegeentlastungsgesetz (KHPflEG). Durch dieses soll nicht länger der ökonomische Zwang, sondern die medizinische Notwendigkeit im Vordergrund stehen.
Das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) ist bereits am 29. Oktober 2020 in Kraft getreten. Durch dieses werden Krankenhäusern in Deutschland 3 Milliarden Euro bereitgestellt, um in moderne Notfallkapazitäten, Digitalisierung und IT-Sicherheit investieren zu können. Zu diesem Zweck wurde auch für jedes Krankenhaus eine neue Stelle geschaffen – „Leiter für Klinische Prozesse & Digitalisierung“. Diese ist für die Koordination der Gestaltungs- und Change-Prozesse zuständig. Durch das KHZG sollen langfristig Arbeitsabläufe und Prozesse modernisiert und zukunftsfähige Technik implementiert werden. Doch die Umsetzung ist für die Krankenhäuser eine Mammutaufgabe.
Messen, Tourismus und Gastronomie
2023 sollen deutlich mehr Messen stattfinden als noch im Jahr 2022. So sind 2023 bereits 340 Messen geplant, im ersten Quartal sogar schon 120 Messen. Im Vergleich dazu waren im Jahr 2022 im gleichen Zeitraum, aufgrund von Corona-Beschränkungen, nur 18 Messen geplant. Unter diesem Gesichtspunkt könnte 2023 seit dem Beginn der Corona-Pandemie erstmals wieder ein gutes Messejahr werden. Doch die Energiepreisproblematik schmälert auch in dieser Branche die Hoffnung auf ein reibungsloses Messejahr.
Die Tourismusbranche erholt sich nach und nach von den Lockdowns und Reisebeschränkungen der vergangenen zwei Jahre. So war der Buchungsbestand im Dezember 2022 für den Sommer 2023 bereits um 50% höher als zur gleichen Zeit im Jahr 2021. Doch die Corona-Jahre waren prägend und so sind besonders Flexibilität und Sicherheit weiter wichtige Faktoren bei der Buchung einer Reise.

Für das Hotelgewerbe sind vor allen Dingen die steigenden Energiekosten und der Fachkräftemangel die größten Herausforderungen im Jahr 2023. Doch auch die Preissteigerungen im Allgemeinen sowie die Inflation sind für viele Betriebe eine kritische oder sogar existenzbedrohende Lage. 40% aller Betriebe im Gastgewerbe fürchten im aktuellen Jahr Verluste aufgrund hoher Kosten für Energie, Lebensmittel und Mieten. Verstärkt wird dies durch das fehlende Personal. Um der Kundenzurückhaltung zu begegnen, wird auch das Gastgewerbe nicht umhinkommen, sich weiter zu digitalisieren und neue Ideen zu entwickeln. In Hotels sind zum Beispiel bereits die ersten Roboter im Servicebereich tätig.
Branchenübergreifende Herausforderungen
Auch im Jahr 2023 bleiben Nachhaltigkeit und Digitalisierung die Top-Themen der Wirtschaft und Gesellschaft. Doch auch die Energiekrise, zunehmende kriegerische Auseinandersetzungen (wirtschaftlich und militärisch), der demografische Wandel und der Fachkräftemangel sind Herausforderungen, die jeden Bereich in Deutschland beeinflussen.
Ab dem 01. Januar 2023 treten weitere Teile der europäischen Regulierung zur Nachhaltigkeit in Kraft. Die ESG-Regularien umfassen die Bereiche Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance). Zu den zwei bereits bestehenden Umweltzielen – Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel – kommen vier weitere dazu: (1) der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, (2) die Vermeidung und Kontrolle der Umweltverschmutzung, (3) der Schutz der Wasser- und Meeresressourcen sowie (4) der Schutz der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme. Darüber hinaus müssen Unternehmen ab 2023 auch mit einer Mitarbeiterzahl ab 250 durch einen Nachhaltigkeitsbericht Angaben zu Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelangen und zur Bekämpfung von Korruption und Bestechung machen. Die Pflicht zu diesen Angaben beschränkte sich vorher auf Unternehmen mit einer Mitarbeiterzahl ab 500.

Die hohen Energiepreise bremsen bei vielen Unternehmen die Investitionen für den Klima- und Umweltschutz. In den vergangenen Jahren wurde immer deutlicher, dass der Klimaschutz für Unternehmen nicht nur unabdingbar, sondern auch erstrebenswert ist. Durch beispielsweise das Umrüsten auf CO2-ärmere Heizungen oder auf Elektrofahrzeuge im Firmenpool kann viel Geld eingespart werden. Die hohen Energiepreise sind für viele Unternehmen jedoch existenzbedrohend und das Ziel Klimaneutralität rückt in einigen Bereichen auf der Prioritätenliste nach unten. Viele Unternehmen werden die dauerhaft höheren Energiepreise kaum ausgleichen können und sind insolvenzgefährdet. Die Schicksalsfrage der Wirtschaft wird sein: Können die Unternehmen, die vom „grünen“ Umbau profitieren, die Verluste ausgleichen, die durch Abwanderung besonders energieintensiver Sparten zu erwarten sind?
Der demografische Wandel wird den Fachkräftemangel auch in den nächsten Jahren weiter anheizen. Ein Resultat dessen wird aber auch sein, dass wir es in Restaurants und Fabriken immer öfter mit Robotern zu tun haben werden – noch vor wenigen Jahren prognostizierten Wissenschaftler, dass Roboter und KI schon bald Millionen Menschen arbeitslos machen würden. Nun können sie gar nicht schnell genug kommen, um all die Jobs zu übernehmen, für die sich kein Mensch mehr bewirbt. Zwar wird Recruiting somit eines der drängendsten Personalthemen der nächsten Jahre sein, wenn jedoch zu wenig Bewerber auf dem Markt sind, ist es wichtig, besonders in den kommenden Jahren auf die Ressourcen zu setzen, die man hat – die eigenen Mitarbeiter. Förderung und Entwicklung von Skills und Kompetenzen sowie der Aus- und Umbau der Unternehmensprozesse auf resilientere Strukturen gehören zu den wichtigsten Mitteln für einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil und einen Ausgleich des Fachkräftemangels.
(Quellen für den Artikel sind im PDF-Dokument zu finden)