„Den Menschen, das Produkt und die Begehrlichkeit in den Fokus aller Aktivitäten stellen“
Gerry Weber, Reno, P&C, Görtz – die Beispiele deutscher Modeunternehmen, die kürzlich Insolvenz anmeldeten, werden immer zahlreicher. Im Zeitraum Januar bis März 2024 ist die Zahl der Insolvenzanträge von Modeunternehmen ähnlich stark gestiegen wie im gesamten Jahr 2023 (Quelle: Textilwirtschaft). Was sind die Gründe hierfür? Und welche Rolle spielt die Pandemie hierbei? Im Gespräch mit Urs-Stefan Kinting, Partner bei WAYES, klären wir auf.
Herr Kinting, Sie waren unter anderem als CEO bei Olsen, comma und zuletzt bei zero tätig. Im Fokus stand häufig die Sanierung der Unternehmen. Es scheint so, dass vor allem Modefirmen in Deutschland angeschlagen sind. Woran liegt das?
USK: „Die Kaufkraft der Konsumenten nimmt ab, Städte und Einkaufs-Zentren werden immer weniger frequentiert und die Strahlkraft von Mode hat durch ein neues Umweltbewusstsein deutlich an Attraktivität verloren.“
Durch die abnehmende Strahlkraft des stationären Einzelhandels rückt Online-Shopping weiter in den Fokus.
USK: „Online- und Offline-Handel müssen miteinander verzahnt werden. Um den Grad der Begehrlichkeit wieder zu wecken, müssen die Produkte und ihre Verkaufspunkte mehr inszeniert werden. Diese Inszenierung funktioniert nur, wenn die „mediale Welt“ mit der „stationären Welt“ verknüpft wird. Die Voraussetzungen dafür sind umfassend (integrierte) funktionierende IT-Systeme und Mitarbeiter mit Begeisterungsfähigkeit und entsprechendem Know-how. Die Komplexität dafür wird weiter steigen.“
Unabhängig von der Form des Einkaufserlebnisses, wie können Modeunternehmen zukunftsfähig werden?
USK: „Den Menschen, das Produkt und die Begehrlichkeit in den Fokus aller Aktivitäten stellen. Markenwerte durch Einzigartigkeit schaffen und sich mit der definierten Zielgruppe laufend auseinandersetzen. Konsequente Umsetzung der vorgenannten Punkte. Alles andere ergibt sich dann daraus.“
Dass dies aktuell noch nicht gelebt wird, zeigt wohl auch die zunehmende Zahl an Insolvenzen. Häufiger Bestandteil der Sanierung sind Ladenschließungen. Wie wirken sich diese auf die Innenstädte aus? Und wie zukunftsfähig ist das Modell „Shoppingmeile“ insgesamt noch?
USK: „Städte und Shopping-Center werden sich verändern. Das bloße Aneinanderreihen von Ladenlokalen funktioniert nicht mehr. Arbeiten, Wohnen, Essen, Trinken, Einkaufen, Freizeit und Erleben werden eng zusammenrücken. Städte und Einkaufszentren müssen 24/7 belebt werden, damit das funktioniert. Die angemieteten Flächen sollten „multi-funktional“ über den gesamten Tag genutzt werden können. Der Gesetzgeber muss die Voraussetzungen dafür schaffen.“
Eine Insolvenz bietet Firmen auch die Möglichkeit, sich kostengünstig zu sanieren und sich Vorteile gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen. Fürchten Sie einen Dominoeffekt?
USK: „Eine Insolvenz stellt immer eine harte Probe dar, sowohl für Unternehmer und ihre Angestellten als auch für Geschäftspartner. Der Gesetzgeber hat mit dem Insolvenzverfahren die Möglichkeit geschaffen, Unternehmen zu sanieren, nicht um sich Vorteile zu verschaffen. Das Hauptziel ist es, bei laufendem Geschäftsbetrieb das Unternehmen zu stabilisieren und (ggf. mit neuen Eigentümern) weiterzuführen.“
Oftmals werden im Rahmen der Sanierung Interim-Manager eingesetzt. Was sind dessen Aufgabenbereiche?
USK: „Interim-Manager entwickeln Lösungen und Strategien. Sie konzipieren und implementieren Maßnahmen zur Restrukturierung oder Umstrukturierung. Außerdem leiten sie Schritte zur Rationalisierung ein und erstellen einen Plan zur Sanierung des Unternehmens.“
Sie waren selbst als Interim-Manager tätig. Welche Vor- und Nachteile hat man als Externer in einem Unternehmen?
USK: „Ich komme unbefangen in ein Unternehmen, habe keinerlei Vergangenheit mit der Organisation, bin unabhängig und biete den Blick von außen. Dabei bin ich der Spezialist für eine eindeutig zugeordnete Aufgabe, die temporär befristet ist. Entscheidungen werden auf analytischen und faktenbasierten Grundlagen vorbereitet und getroffen. Zu den Nachteilen zählen die geringe Einarbeitungszeit und die Unwissenheit über vorhandene Unternehmensstrukturen. Die Skepsis und das Misstrauen bei internen Mitarbeitern ist sicherlich eine weitere Hürde.“
Dabei sind Interim-Manager gerade auf die Unterstützung der internen Mitarbeiter*innen angewiesen. Wie schaffen Sie es denn, als „neuer Kollege“ innerhalb von kürzester Zeit Vertrauen aufzubauen und Motivation zur Mitarbeit zu schaffen?
USK: „Als Interim-Manager bin ich unparteiisch, muss für das Ethos von Organisationen sehr sensibel sein und Büropolitik vermeiden. Eine transparente Kommunikation mit allen Ansprechpartnern ist unabdingbar.“
Kommunikationsskills sind also elementar. Gibt es weitere Eigenschaften, die in dieser Position zwingend erforderlich sind?
USK: „Interim-Manager müssen über eine ökonomische, pragmatische, lösungsorientierte Denkweise verfügen. Darüber hinaus benötigen sie analytische Fähigkeiten und eine schnelle Auffassungsgabe. Detailkenntnisse der Management- und Organisationslehre sind hilfreich:
1: Anpassungsfähigkeit und Flexibilität
2: Leistungsfähigkeit unter Druck
3: Gute Kommunikationsfähigkeit
4: Fachliche und methodische Kompetenz
Ist es so, dass Interim-Manager schneller Ergebnisse erzielen als Festangestellte? Und wenn ja, warum ist das so?
USK: „Der Interim-Manager hat keinerlei Ambitionen auf eine Karriere im Mandatsunternehmen und ist dahingehend unantastbar. Er verfolgt keine persönlichen Ziele mit seiner Entwicklung im Mandat und hat somit auch nichts zu verlieren. Da das Geschäftsmodell des Interim-Managers auf dem Prinzip der Selbstständigkeit beruht, ist grundsätzlich eine validere Objektivität aufgrund der Unabhängigkeit gegeben. Vielfältigere Erfahrungen aus verschiedenen Branchen und mehreren Unternehmen unterscheiden den Interim-Manager vom typischen Festangestellten. Daher kann ein Manager auf Zeit auf Benchmarks, Vergleichswerte und ein größeres Portfolio an Methoden und Instrumenten zurückgreifen.“
Bei dieser Tätigkeit erhalten Sie Einblick in höchst sensible Daten – gibt es hierfür eine gesonderte Verschwiegenheitserklärung?
USK: „In der Regel bin ich an exponierter Stelle des Unternehmens eingesetzt – in der Führung, Leitung oder Überwachung. Ist der Interim-Manager in einer Organstellung tätig, treffen ihn auch die gesetzlich bestimmten Pflichten, ansonsten regelt das eine gesonderte Verschwiegenheitserklärung oder -verpflichtung. Diese umfasst alle Angelegenheiten der Gesellschaft und des Unternehmens. Inhaltlich sind das die Tatsachen, die das Unternehmen betreffen, soweit sie nicht öffentlich bekannt gemacht oder informationspflichtig sind. Die Verschwiegenheitsverpflichtung bedeutet dabei nicht nur, dass der Interim-Manager die Informationen nicht an Dritte weitergeben darf, er darf sie auch nicht für eigene Zwecke außerhalb seiner Tätigkeit nutzen. Diese Verschwiegenheitsverpflichtung hat nach der Mandatsbeendigung weiter (unter Umständen zeitlich befristet) Bestand.“
Vielen Dank für das Interview.